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EU-Lobbying: Schweizer Unternehmen greifen tief in die Tasche

28.02.2021 14:00 – Thomas Angeli

Firmen, Verbände und Organisationen aus der Schweiz investieren zwischen 44 und 60 Millionen Euro jährlich ins Lobbying bei EU-Gremien. Die exklusive Analyse von Lobbywatch zeigt: An erster Stelle steht die Chemie-Branche mit über 7 Millionen Euro pro Jahr, dicht gefolgt von der Pharmaindustrie und den Banken.

Selbst wenn die Schweiz nicht EU-Mitglied ist: «Brüssel» bestimmt bei wichtigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen in der Schweiz massgeblich mit. Erlässt die EU neue Richtlinien zu Pestiziden, Güterverkehr oder der Sicherheit von Nahrungsmitteln, so betrifft dies auch Unternehmen, Verbände und Organisationen aus der Schweiz. Viele von ihnen beschränken deshalb ihre Lobbyaktivitäten nicht auf Bundesbern, sondern sind auch in Brüssel aktiv – und wie! Eine erstmals von Lobbywatch durchgeführte Erhebung zeigt: Hier ansässige Unternehmen und Verbände investieren jährlich gesamthaft zwischen 44 und 60 Millionen Franken, um bei der EU-Kommission ihre Sicht der Dinge einbringen zu können.

Für die Erhebung stützt sich Lobbywatch auf Daten aus dem Transparenzregister der EU, wo alle in Brüssel lobbyierenden Organisationen eingetragen sein müssen. Verlangt werden in dem Register nicht nur die für das Lobbying bei der EU-Kommission und den Generalsekretariaten aufgewendeten Beträge, sondern auch Angaben über die Anzahl Lobbyistinnen und Lobbyisten, die Anzahl vorhandene Zutrittspässe zum EU-Parlament sowie Informationen darüber, mit welchen EU-Kommissaren oder deren Mitarbeitenden sich die Lobbyisten getroffen haben. Die beiden Organisationen Corporate Europe Observatory und Lobbycontrol aggregieren diese Informationen auf der Plattform lobbyfacts.eu und stellen sie der Öffentlichkeit in einer durchsuchbaren Datenbank Verfügung.

Insgesamt sind im EU-Transparenzregister 275 Firmen und Organisationen verzeichnet, die ihren Hauptsitz in der Schweiz haben. Allein die Top 100 kommen auf Ausgaben zwischen 39 und 49 Millionen. Offenlegen müssen die Lobbys ihre Ausgaben lediglich innerhalb von bestimmten Bandbreiten.

Die Branchen mit den höchsten Ausgaben (in Millionen Euro, geordnet nach Höchstbeträgen):

1. Chemie 7.1 – 8.4
2. Pharma 5.7– 6.65
3. Banken 4.0 – 4.9
4. Umwelt 2.7 – 3.6
5. Industrie 2.6 – 3.4
6. Medizin 1.6 – 2.4
7. Tabak 1.9 – 2.4
8. Aussenpolitik 1.6 – 2.0
9. Hilfswerke 1.5 – 1.9
10. Individualverkehr 1.4 – 1.8

Die Firmen und Organisationen mit den höchsten Ausgaben (in Millionen Euro):

1. Dow Europe 2.5 – 2.75
2. Novartis International 2.25 – 2.5
3. Syngenta Crop Protection 1.5 – 1.75
4. Credit Suisse 1.25 – 1.5
5. Roche 1.25 - 1.5
6. Philip Morris International 1.0 – 1.25
7. Takeda Pharmaceuticals 1.0 – 1.25
8. UBS 1.0 – 1.25
9. Corteva Agriscience 0.9 – 1.0
10. IAPM 0.8 – 0.9

Die vollständige Rangliste der Unternehmen und Organisationen gibt es unter www.lobbyfacts.eu


Chemie (in Millionen Euro)

1. Dow Europe 2.5 – 2.75
2. Syngenta Crop Protection 1.5 – 1.75
3. Corteva Agriscience 0.9 – 1.0

Pharma (in Millionen Euro)

1. Novartis International 2.25 – 2.5
2. Roche 1.25 – 1.5
3. Takeda Pharmaceuticals 1.0 – 1.25

Banken (in Millionen Euro)

1. Credit Suisse 1.25 – 1.5
2. UBS 1.0 – 1.25
3. Swiss Finance Council* 0.7 – 0.8

*Gemeinsame Lobbyorganisation von Credit Suisse und UBS bei der EU

Umwelt (in Millionen Euro)

1. World Resources Forum 0.8 – 0.9
2. Club of Rome 0.6 – 0.7
3. Int. Emission Trading Ass. 0.3 – 0.4

Industrie

1. Tetra Pak 0.7 – 0.8
2. ABB 0.5 – 0.6
3. SC Johnson 0.4 – 0.5


Geld allein ist nicht alles

Im Transparenzregister ist jedoch nicht nur aufgeführt, wer wie viel Geld für Lobbying ausgibt, sondern auch, welche Unternehmen oder Verbände sich wie oft mit EU-Kommissarinnen oder Mitgliedern der so genannten Generaldirektionen bei der EU treffen. Registriert werden diese Meetings seit 2014, und in der «Rangliste» tauchen plötzlich auch Unternehmen und Verbände auf, die relativ wenig Geld für Lobbying ausgeben. Hier sind die Top 10 derjenigen Schweizer Unternehmen und Organisationen, die in Brüssel auf offene Bürotüren stiessen:

Anzahl Lobby-Treffen mit EU-Vertretern nach Branchen (total Anzahl Treffen seit 2014)

1. Chemie 94
2. Banken 63
3. Industrie 58
4. Hilfswerke 44
5. Nahrungsmittel 34
6. Handel 33
7. Individualverkehr 31
8. Versicherungen 26
9. Pharma 24
10. Kultur 23

Diese Unternehmen hatten die meisten Treffen mit EU-Vertretern (total Anzahl Treffen seit 2014)

1. Dow Europe 51
2. Trans Adriatic Pipeline 37
3. eBay EU liaison office 33
4. Int. Road Transport Union 31
5. UEFA 30
6. World Economic Forum 28
7. Nestlé 26
8. Swiss Finance Council 25
9. Médecins sans frontières 24
10. ICMP (Music publishing) 23

Auffallend ist in dieser Rangliste vor allem die UEFA. Mit einem Lobby-Budget von ledigllich 100‘000 Euro schafft es der europäische Fussballverband, regelmässig Termine bei hochrangigen EU-Vertretern zu bekommen. Offene Türen findet auch das World Economic Forum (WEF), und zwar ganz besonders seit Beginn der Pandemie: 27 der 28 seit 2014 registrierte Treffen fanden im Jahr 2020 statt.

Auch die Schweiz braucht ein Transparenzregister

Zwar mögen die Themen und Fragestellungen in Brüssel und in Bern nur zum Teil identisch sein, und auch die eingesetzten finanziellen Mittel dürften beim Lobbying in der EU wesentlich höher sein. Die erstmals durchgeführte Auswertung von Lobbywatch zeigt jedoch deutlich, welche Branchen und Unternehmen über die grössten Budgets für Lobbyarbeit verfügen. Wenn in der Auswertung Branchen und Unternehmen fehlen – etwa aus der Tech-Branche –, dann bedeutet dies nicht, dass diese in der EU keine Lobbyarbeit betreiben, sondern lediglich, dass sie ihren Hauptsitz nicht in der Schweiz haben.

Das EU-Register zeigt aber auch, dass mehr Transparenz auch in der Schweiz zwingend notwendig ist. Dies nicht nur bei Politikerinnen und Politikern (wo Lobbywatch nach der Ablehnung eines Lobbyistenregisters durch die eidgenössischen Räte als einzige Instanz für Transparenz sorgt), sondern auch bei der Bundesverwaltung. Ein Transparenzregister, welches Lobbyaktivitäten in der Bundesverwaltung und die dafür eingesetzten finanziellen Mittel dokumentiert, wäre aus Sicht von Lobbywatch ein wichtiger Schritt hin zu einer transparenteren und demokratisch legitimierten Verwaltung.

Foto: Thijs ter Haar, CC BY 2.0